Suite für Streicher Kammerorchester
(Auftrag des Audi Kulturfonds für das Georgische Kammerorchester)
Audite Africam! ist afrikanische Botschaft in europäischer Form, eine wechselseitige Spiegelung unterschiedlicher musikalischer Kulturen, eine Dar- und Gegenüberstellung völlig unterschiedlicher Methoden. Die Komposition speist sich aus Gegensätzlichkeiten und Kontrasten. Sie sollen als solche stehen bleiben und sich unvermittelt vermitteln. Audite! ist die Aufforderung auf etwas Anderes als das übliche zu hören.
Der 1. Satz arbeitet mit einem in Afrika weit verbreiteten “time-line-pattern”, einer Art Orientierungs-Rhythmus, der sich fast durch den ganzen Satz hindurch zieht:

Im 2. Satz wird das Orchester in ein “afrikanisches” und ein “europäisches” Ensemble aufgeteilt. Ersteres (Violinen und Bratschen pizzicato mit Solo Violine und Cello) spielt ein guineisches Lied mit typisch abfallenden melodischen Phrasen über einer repetitiv changierenden Begleitung – fast klischeehaft (wäre es nicht original…) stark, geradeaus und unbeirrt. Dagegen hält die zweite Gruppe (drei gedämpfte Celli mit Solo Violine) ein hoch espressives Klanggemälde mit ständigen Temposchwankungen, Brüchen, agitierten Gesten und reflexiven Momenten. Beides hat zunächst nichts miteinander zu tun, bis dann doch noch ein Dialog entsteht…
Der 3. Satz verwendet das immer wiederkehrende Material einer traditionellen Xhosa Musik, bettet diese jedoch in immer neue Begleittexturen, sodaß ein Variationssatz entsteht. Außerdem ein Spiel mit der rhythmischen Ambivalenz des Themas, das unterschiedliche Betonungen erlaubt, bzw. eine eindeutige Festlegung nicht duldet. Schließlich wird noch der “Homecoming Song” (Dollar Brand) mit eingeflochten. Wer einmal in Afrika war, wird verstehen, was Erdverbundenheit in diesem Kontinent bedeutet – es ist mithin das höchste Gut. Heimkehren bedeutet dieser Verbindung wieder teilhaftig zu werden.
Afrikanische Musik stets nur an ihren traditionellen Formen festzumachen ist bei der großen Assimilationsfähigkeit und -freude der Afrikaner längst nicht mehr haltbar. Lange schon sind westliche Ingredienzen auch in echt afrikanischen Ausdrucksformen erkennbar, bzw. haben sich trotz fremder Einflüsse authentische Stile entwickelt, so z.B. der “Kwela” (oder Township Jazz). Einfachste harmonische Folgen bilden das unverwüstliche Gerüst für einen unverwechselbar lässigen groove, der ein extrem südliches Lebensgefühl ausdrückt. Im 4. Satz wird hieraus eine Passacaglia. Zwei kurz aufflammende drahtig-solistische Einwürfe versinken sofort wieder im Sog des allumfassenden “Swing”.
Den 5. Satz treibt, fast im Sinne eines europäischen Finales, ein senegalesischer Trommelrhythmus voran, bis sich die harmonischen Energien erschöpfen und ganz dem “Rhythmus” (auf den Instrumenten geschlagen!) weichen. Die Zersetzung des Klangs setzt sich fort – vielleicht treffen sich hier europäisch-avantgardistische Abstraktion und afrikanische Lautmalerei – und vor einem geräuschhaften Hintergrund erklingt ein letztes Zitat: “Homeless” von “Ladysmith Black Mambazo” – der Gegenpol des “Homecoming Song”.
Afrika ist zu einem politischen Spielball geworden. Westliche Gesetzmäßigkeiten werden diesem Kontinent aufgezwungen, ohne ihn bisher auch nur im geringsten wirklich begriffen zu haben. “Die Erde ist verärgert. Die neue Weisheit ist eine Weisheit der Eroberung, der Vertreibung anderer Weisheiten. Sie kämpft um ihren Platz. Die alte Weisheit kämpft nicht um ihren Platz. Sie hat sich zurückgezogen und erwartet den Tag an dem sie wieder aufgesucht werden wird. Unsere Vorfahren schlossen die Türen zu ihrer Weisheit. Der Schlüssel dazu ist die Achtung der Bräuche und Rituale.” (Aiden Tevera Manwa)
(In der europäisch-linearen Variante kann das Stück hier enden – innehaltend, nachdenklich, vorläufig abgeschlossen. Es sei den Ausführenden jedoch nahegelegt die afrikanisch-zyklische Version zu erwägen, bei der der 1. Satz noch einmal wiederholt wird und damit die Suite energisch beendet, jedoch eigentlich nicht abgeschlossen wird, sondern als Teil eines größeren und andauernden Prozesses definiert wird.